Anne Stabrey

Liebe bleibt jung

Geschichten um Sehnsucht und Partnerschaft

von Menschen über sechzig

Eva-Maria, 74

Dieses Alleinsein ist Gift

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Dieses Leben ist schön, unbeschreiblich schön. Nicht, dass das so wäre, aber ich sehe das so.

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Judy Winter

Mein Alltag läuft gewöhnlich so ab: Ich gehe früh schlafen, um zehn lieg ich im Bett und hab dann um 6.30 Uhr ausgeschlafen. Dann fängt der Tag an. Ich gehe ins Bad und dusche, das brauche ich, das belebt mich. Dann wird erst mal alles durchgelüftet und wo nötig, gesaugt und dann überlege ich, was hast du heute vor. Damit ich nichts vergesse, sind die Termine aufgeschrieben. Dann guck ich erst mal raus, wie ist das Wetter, was machen die Nachbarn, ist einer zu sehen? Und wenn man sich dann beim Zeitung reinholen sieht, grüßt man sich natürlich und spricht ‘n paar Worte, und dann geht jeder wieder in sein Haus.

Nebenan wohnen die Verwandten, wir sehen uns öfter zum Kaffee. Oder wir laufen zusammen ins Dorf und halten ein Schwätzchen. Über die Kinder wird geredet, über die Enkel. Also, wir haben gute Kontakte. Wir leben ganz normal. Zum Dorf sind es 2,5 Kilometer, und die lege ich am liebsten mit dem Fahrrad zurück, an den Gärten vorbei, nur im Dunklen nicht so gern, da fahr ich ganz schnell. Auto fahre ich nicht. Und wenn‘s in Strömen regnet und ich hab einen bestimmten Termin, dann lass ich das Fahrrad stehen, spanne den Schirm auf und laufe zum Bus. In die Stadt fahr ich nicht oft. Wenn, dann nur nach Charlottenburg, Wilmersdorf und Friedenau. Ich hab ja meine Ausbildung und Praktika dort gemacht und da kennt man doch einige Leute. Aber je älter man wird, desto weniger wird es. Wir sind ja alle in ‘ner ähnlichen Lage. Und keiner hat mehr Zeit, das ist doch merkwürdig. Aber wir haben immer noch Klassentreffen und Examenstreffen und so, das findet noch statt, so einmal im Jahr.

Ich bin schon mit Anfang 60 in Rente gegangen. Das war möglich, weil ich einen Schwerbehindertenausweis habe. Ich hatte Malaria gehabt, durch Russland, und ich hatte auch Leistenbrüche.

Wir haben in Ostpreußen gelebt. Dann kam der Krieg. Ein Land kämpfte gegen das andere, und Deutschland war ja nicht unschuldig, das muss man nun wirklich sagen. Wir waren elf Kinder. Davon sind vier Brüder einer nach dem andern vermisst gewesen, bei Leningrad und sonst wo, und wir wussten von keinem von ihnen etwas. Es war im Januar 1945, als der Russe zu uns nach Königsberg kam, der Gegner damals. Wir waren zu Hause geblieben, weil meine Eltern sagten, auf die Landstraße zu gehen, das hat überhaupt keinen Sinn. Sie entschlossen sich also, da zu bleiben und nicht zu flüchten. Wir hatten damals noch einen polnischen Arbeiter auf unserer Wirtschaft. Johann hieß der, und der hat vor den Russen sehr gut für uns ausgesagt, vor allem für meine Eltern, – dass sie ihn gut behandelt haben. Deswegen ist keiner von uns erschossen worden, sondern wir durften weiter leben. Das war viel!

Ich war damals 17. Meine Eltern durften dableiben, nur wir Kinder mussten weg. Uns haben sie »dawaitje, dawaitje!« auf den Marsch gebracht, bis nach Polen, und dann ging’s weiter bis Russland. Wir wussten nicht wohin, es ging immer weiter. Im Viehwaggon, ohne Licht, ohne alles. Unterwegs sind schon die meisten gestorben, auch von meinen Geschwistern. Es ging bis weit hinter Moskau. Und dann wurden wir ausgeladen, im Urwald, kurz vor Sibirien. Es war sehr kalt. Sie hatten da ganz schnell Baracken für die Deutschen aufgebaut, damit die überhaupt alle untergebracht werden konnten und wir haben da auf Brettern geschlafen in unseren Mänteln. Dort waren wir ungefähr 20 Monate.

Dann hat man uns entlassen, weil wir nicht mehr so gesund waren, wir hatten alle Typhus und Malaria bekommen. Was waren wir froh. Wir konnten es gar nicht glauben vor lauter Glück. Es hieß, »ihr fahrt nach Hause«. Wir waren damals noch vier und wurden alle zusammen entlassen. Die Leute, die uns da so ‘n bisschen vermittelten, die haben gefragt, wohin wir gehen wollen. Und weil das ja in der Heimat alles so chaotisch war und wir nicht wussten, ob da überhaupt noch einer ist, dachten wir an Verwandte in Berlin. Die lebten immer schon dort in Schöneberg, im Bayerischen Viertel. Unser Onkel, Mama’s Bruder, war dort Lehrer. An die haben wir uns gewandt. Sie haben sich mit der Caritas in Verbindung gesetzt, weil wir ja katholisch waren. Dann hat die Caritas uns im Lager besucht und hat als erste Institution für uns gesorgt. Es war ja inzwischen Kriegsende.

Dann ging es im Güterzug nach Berlin. Von den Eltern wussten wir nichts. Mein Vater war irgendwann gestorben, in der Zeit, wo wir getrennt waren. Und die Mutter ist nach Sachsen evakuiert worden. Wir haben uns später alle in Berlin wiedergefunden. Und da fingen wir an, allmählich ein neues Leben aufzubauen. Zwei Schwestern von mir sind Krankenschwestern geworden, der Bruder hat ‘ne Tischlerlehre gemacht und ich bin zur Katholischen Sozialen Frauenschule vermittelt worden. Einer half dem anderen ein Stück weiter. Und wir haben immer nette Leute getroffen, weil eine Tante von mir in Königsberg Oberin im Krankenhaus war. »Was, die Kleofa ist Ihre Tante?« Na, und da hat man uns besonders geholfen. Da haben sie für uns Kleider genäht, die Schwestern, – es war rührend.

Ich hab später dann im Jugendamt gearbeitet, weil ich das Fach Familienfürsorge gewählt hatte, um Familien zu helfen. Und ich hab gemerkt, dass mir das sehr lag. Ich bin heute noch dankbar, dass ich diesen Weg eingeschlagen habe. Ich war sehr froh in meinem Beruf.

Durch Kontakte, noch aus Ostpreußen, habe ich meinen Mann kennen gelernt. Ihn hatte es nach dem Krieg nach Düsseldorf verschlagen. Wir haben uns dann geschrieben, und uns gegenseitig besucht. Er bekam in Berlin eine Stellung, und wir haben irgendwann geheiratet, etwa Anfang der 50er Jahre. Da war ich 28. Zuerst hatten wir eine Wohnung und später sind wir hier in das Haus gezogen. Es ist inzwischen abgezahlt. Die Kinder sind hier geboren und aufgewachsen. Ich habe drei Kinder, zwei Mädchen und ein Junge. Die eine ist Sozialarbeiterin, die andere Erzieherin, der Sohn ist Architekt, und alle haben Arbeit.

Eine neue Liebe? Was würde Willi dazu sagen?

Bis vor zehn Jahren war ich mit meinem Mann zusammen. Wir hatten eine gute Ehe. Solche Löcher, wie bei anderen Menschen, habe ich nicht erlebt, ich war eigentlich immer guter Dinge.

Als er starb, war ich dann viele Jahre allein. Bis ich den Wunsch hatte, mir wieder jemanden zu suchen. Ich fing an, darüber nachzudenken. Immer wieder hab ich mir gesagt, ach lieber doch nicht! Damals, wenn ich von anderen hörte, dass sie sich jemand suchten, hab ich gedacht, wie kann man nur so was tun! Das hab ich nicht begreifen können. Wegen dieser ›ewigen Treue‹ – so ungefähr. Ich hab mich immer gefragt, was die Verwandten und Willi dazu sagen würden. Aber ich hab mir auch gedacht, ich würde doch deswegen nicht verdammt werden, oder so. Und wo sich doch noch ein anderer mit mir gemeinsam freuen kann! Das kann man doch nur positiv sehen! Wenn der Mensch allein bleibt, kann er kaputtgehen am Leben, oder er wird hart.

Warum sollte ich denn nicht noch einmal jemanden mögen. Ich hab eingesehen, das Alleinsein ist nicht das Wahre, und Willi, mein verstorbener Mann, würde mir das nicht übel nehmen. Und ich bete ja auch. Und dann hab ich kein schlechtes Gewissen. Ich hab also auf einmal vernünftiger gedacht. Schließlich werde ich nicht jünger, und es gibt bestimmt auch Herren, die in einer ähnlichen Lage sind. Und ich hab mich entschlossen, die Initiative zu ergreifen.

Ich habe dann jemanden kennen gelernt, über eine Anzeige. Aber das ist ja nun auch schon wieder Vergangenheit. Es war ganz furchtbar. Ich rede auch nicht so gerne darüber. Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis, er kam aus der Nähe von Ostberlin. Wir haben uns erst mal geschrieben und dann gesehen und waren uns sympathisch. Dann haben wir uns gegenseitig besucht, wir sind mit seinem Auto gefahren, er hat mir im Garten geholfen, es war wunderbar. Ich bin natürlich auch zu ihm gefahren und blieb auch dort. Abends gingen wir noch aus, und morgens, wenn wir aufwachten, haben wir uns immer gegenseitig gerufen, aber einmal kam keine Reaktion von ihm. Ich sagte »Gertchen, warum sagst du nichts, was ist denn los?« Dann bin ich an sein Bett gegangen, und da war er gestorben. Herzschlag. Das war furchtbar.

Und dann hab ich gesagt, nie wieder! Man fühlt sich auch von allen und allem verlassen. Die Kinder sind ja auch nicht mehr hier, da sie ihre eigenen Wohnungen haben. Und hier draußen wohnt man ja so weit weg. Naja, er war ja schon 80, und ewig lebt man nicht auf dieser Welt. Ich war mit dem Gert ein gutes Jahr zusammen. Es war eine schöne Zeit. Das war wirklich ein Glücksfall.

Und dann kam doch wieder die Zeit, wo ich mir sagte, dieses Alleinsein ist Gift. Und der Gert würde mir das bestimmt nicht übel nehmen, denn ich kannte ihn und seine Einstellung. Und dann hab ich ihm das quasi in Gedanken erzählt und hab gedacht, das kann nur in seinem Sinne sein.

Nein, alleine bleiben will ich nicht. Ich leide darunter. Weil ich keinen Ansprechpartner habe, keinen fragen kann, was meinst du, wie kann man’s machen? Es gibt da so viele Dinge. Alles! Ich bin außerdem nicht so eine, die gerne das Heft in der Hand hat. Das liegt mir nicht. Ich hatte nie das Heft in der Hand und bin auch heute noch froh, wenn mir einer hilft, mir was abnimmt. Ich habe auch gemerkt, wie Männer sein können. Die sind auch sensibel, die sind nicht nur stark. Wenn man sieht, wie behutsam ein Mann mit den Dingen umgehen kann, und wie er sich Gedanken macht über dies und jenes, dann denkt man, Mensch, ist das herrlich!

Heute ist das Gott sei Dank nicht mehr wie früher. Damals haben wir doch immer gedacht, ein Mann verträgt viel, ist hart und leidet nicht so. Man war der Meinung, ein Mann darf nicht klagen, ein Mann hat bessere Nerven, aber es ist gar nicht so. Man hat die Männer immer völlig falsch eingeschätzt, das war ein Fehler. Es gibt bei beiden Geschlechtern ganz Starke und auch die Schwächeren. Es gibt ganz starke Frauen, unheimlich starke Frauen. Sie sind überhaupt nicht solche Sensibelchen, wie man früher dachte. Und besonders, wenn sie unter sich sind, dann zeigen sie, wie stark sie sind.

Also, besonders vom Feminismus halte ich gar nichts, das sag ich ganz ehrlich. Und wenn das dann auch noch so betont wird! ›Nur für Frauen‹. Grausig! Da war jetzt wieder so ein Artikel in der Zeitung, da hab ich gedacht, da müsste man eigentlich protestieren und hinschreiben. Das gefiel mir gar nicht. Und immer dieses Ego! Also, ich kann so was gar nicht bis zu Ende lesen. Mir reicht’s dann bis oben hin. Ich mag diese Typen von Frauen überhaupt nicht. Diese Ausdrucksweise alleine schon, die stößt mich ab. Und ich schäme mich manchmal für Frauen.

Jemanden kennen lernen, das kann man doch mit einer Annonce versuchen. Ich glaube, diesen Markt muss es geben. Es gibt ja Menschen, die am Leben verzweifeln, wenn sie einsam sind. Es gibt einige, die sind ganz stark und überstehen alles. Und dann gibt es diejenigen, die sich nicht trauen, eine Annonce aufzugeben, die aber leiden, und die so gerne auch jemanden hätten.

Auf meine Anzeige haben sich ja nun ein paar Herren gemeldet. Ja, die haben den Mut dazu gehabt. Und zwar hat der eine Herr gesagt, was er besonders gut fand in meiner Anzeige, das war die »harmonische Zweisamkeit«.

Hut ab vor diesem Herrn

Vieles erfährt man schon beim ersten Treffen, wie der Mensch ist. Wenn er mir sympathisch ist, dann sage ich mir, alles andere ergibt sich von allein. Ich frage ihn nicht nach gewissen Dingen. Materielles spreche ich überhaupt nicht an. Nein, das mache ich nicht. Ich warte, bis sich das ergibt. Man sieht doch schon im Restaurant, ob der jeden Cent zählt und am liebsten nichts bezahlt, und die Frau bezahlen lässt. Also für mich ist selbstverständlich, dass, wenn der Mann mal bezahlt hat, das nächste Mal ich bezahle. Das ist überhaupt keine Frage. Das ist so mit dem Mann, den ich jetzt kennen gelernt habe. Wenn der Kellner kommt, sage ich, pass mal auf, du hast vorgestern bezahlt, heute bin ich dran. Warum soll denn nur er immer die Frau einladen, nur weil er ein Mann ist? Ob er überhaupt mehr besitzt als ich, weiß ich doch gar nicht.

Also, es hat eigentlich ganz schnell mit uns geklappt, und da brauche ich mit den anderen, die mir geschrieben haben, gar nichts weiter anzufangen.

Er ist 80. Aber das möchte man nicht glauben. So gut und gepflegt, wie er aussieht. Wir treffen uns morgen. Zur Tasse Kaffee, und das finde ich sehr schön. Er kommt hierher und will mich abholen. Wir wollen eventuell noch was unternehmen. Er möchte eben immer mal von zu Hause weg und ‘ne kleine Tour machen. Und ich fühl mich in so einem Auto unheimlich wohl, weil ich ja keins habe, das genieße ich! Und gucke beim Fahren und helfe aufpassen. Das findet er auch gut, dass ich die Augen aufmache und dass ich nicht plötzlich losschreie, sondern ruhig darauf aufmerksam mache, wenn da ein anderes Auto kommt. Wir wollen also hin und wieder wohin fahren, auch an die Ostsee, die wir beide lieben, das haben wir schon besprochen. Zu dem ›Du‹ sind wir ganz schnell beim Autofahren gekommen. Es rutschte mir einfach raus, und dabei blieb es dann. Das Förmliche war weg.

Ich war auch schon bei ihm und finde alles ganz fantastisch. Wie der mit allem umgeht, ist erstaunlich. Ich sag mir wieder mal ›Hut ab vor diesem Herrn! Hut ab, ich kann noch viel lernen.‹ Er hat ja auch ‘ne gute Frau gehabt. Er hat mir seine Blumen gezeigt, seine Blumenkästen und hat mir dann am Telefon gesagt, na ein Glück, dass ich die zur Nacht reingenommen habe, – was wir vorher ja so besprochen hatten. Also, es ist schon ein bisschen mehr als sich nur sehen, wir befassen uns schon miteinander. Es ist herrlich.

Eine Partnerschaft in meinem Alter ist ganz wichtig, Sie hat für mich einen sehr hohen Stellenwert. Nach wie vor. Meine Kinder sind da eigentlich sehr vernünftig und überlassen mir das. »Mama, das musst du selbst wissen«. Und ich find das auch richtig, denn da kann mich niemand von den Kindern beraten.

Auch eine Freundin ersetzt keinen Freund. Das ist, – ach es ist so banal, darüber zu reden. Wir sind geschaffen als Männer und Frauen, das muss doch einen Sinn haben. Und ich mag auch noch die körperliche Nähe. Es ist nicht so, dass ich da nun ganz kalt bin, überhaupt nicht. Und ich verstehe die Männer sehr gut, weil ich ja auch Gefühle habe. Ich bin, denke ich, ein ganz normaler Mensch, mit normalen Gefühlen und normalen Wünschen. Aber es ist nicht nur das Körperliche, sondern der ganze Mensch. Für mich ist das alles keine Frage. Ich kann es nur nicht so gut ausdrücken und beschreiben, das will ich auch gar nicht. Es ist einfach so gewollt, dass einer den andern ergänzt, und so wird’s immer bleiben.

Die Jugend hat heute andere Grundsätze, die einem das Zusammensein nicht so schwer machen, finde ich. Die jungen Leute sind toleranter als früher, gehen einfacher miteinander um, also unkomplizierter. Sie wissen mehr. Und sie reden auch über Dinge, die ihnen nicht gefallen bei dem anderen, und das konnten wir überhaupt nicht. Und das bedauere ich heute so sehr, aber man konnte nicht über den eigenen Schatten springen, wenn mal Missstimmung war. Und statt den ersten Schritt zu tun, blieb man stumm. Man kann nur mit voller Ehrlichkeit an so eine Beziehung rangehen. Das ist ganz wichtig. Die Ehrlichkeit, die Offenheit. Und dass man über alles reden kann. Und wenn man sich nicht immer sehen kann, dann eben am Telefon. Das wird dann wieder eine größere Rechnung geben. Aber das ist mir so egal, ich kann doch kein Geld mit ins Grab nehmen.

Alleine alt werden ist nicht schön. Deshalb braucht man wieder eine Veränderung im Leben.

Aber mit jemandem zusammen ziehen oder dass jemand zu mir zieht, nein, das will ich nicht. Und das wollen die Herren wohl auch nicht. Nein, das möchte ich nicht, um den anderen und auch mich nicht zu überfordern. Lieber mal ‘ne Pause einlegen und in Ruhe überlegen, ein bisschen planen, was wir übermorgen machen wollen. Man kann doch auch gut getrennt wohnen und trotzdem zusammen gehören. Für mich will ich nur noch ein friedliches, nettes Leben. Ein bisschen noch – und mehr nicht. Ich weiß ja auch gar nicht, wie es nun weiter geht. Ich kann nur sagen: Ich hoffe!! Er ist ein netter Kerl. Na, mal sehen.

Jens, 62

Ich hatte Angst vor der Sexualität mit einer anderen Frau

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Man kann nicht immer glücklich sein. Verlange das auch nicht von dir und der Welt. Aber man kann zufrieden sein.

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Senta Berger

Nach dem Tod meiner Frau hab ich Schwierigkeiten gehabt, riesige Schwierigkeiten. Zwei Jahre lang war es ganz schlimm, mit allem Drum und Dran, mit Trinken und Nichtmehrlebenwollen.

Einmal hatte ich Schlafund Beruhigungstabletten genommen und zwei Liter Wein drauf gekippt. Das war ernst gemeint. Nach drei Tagen haben sie mich gefunden. Ich hab es später noch mal versucht. Da hat der Psychologe gesagt, das geht so nicht mehr, entweder ich muss ins Krankenhaus oder zur Kur, und da hab ich die Kur bevorzugt. Ich war auch in zwei kirchlichen Trauergemeinden drin, und jetzt bin ich in ‘ner Gruppentherapie.

Bleiben Sie morgens am liebsten im Bett?

Nein, im Bett bleib ich nicht mehr! Alkohol gibt es bei mir im Haus auch nicht mehr. Irgendwann hab ich mir gesagt, man muss versuchen, das zu bewältigen. Man kriegt das aber nicht weg. Man kriegt das nie weg. Man hat gute Tage und schlechte Tage. Heute hab ich einen schlechten Tag. Immerhin war ich heute turnen, aber das ist meiner Wirbelsäule nicht so angenehm. Ich hätte heute früh vielleicht nicht aufstehen sollen. Dann hätte ich ‘n bisschen am Computer gespielt, ‘n bisschen gelesen, ich lese gerade über Bach und seine Söhne Aber dann war ich doch froh, dass ich heute dieses Gespräch hier habe. Da kommt man wenigsten ein bisschen raus.

Waren Sie zu der Zeit, als Ihre Frau starb, noch berufstätig? Oder war plötzlich alles auf einmal weg? Die Frau und die Arbeit?

Das war alles weg. Arbeitslosigkeit, Tod der Mutter, Tod der Frau. Da kann man wirklich Probleme kriegen. Da wundere ich mich doch manchmal, was andere Leute für Probleme haben. Wir haben eine Frau in der Gruppe, die hat Probleme, weil sich ihr Mann von ihr getrennt hat und sie nicht mehr genug Geld hat. Na schön, Geld braucht man, das geb ich zu. Aber sie kommt doch zurecht, sie fährt ‘n Auto. Da sag ich ihr, verkauf das Auto, ich bin auch ein Jahr zu Fuß gegangen, bis meine Rente durch war. Nein, sagt sie, das Auto braucht sie. Und gestern war ich mit einer Frau verabredet, die hat erzählt, dass sich ihr Partner von ihr getrennt hat wegen einer andern und danach hat sie noch einen anderen Mann gehabt, der ging dann auch weg. Und da hab ich ihr gesagt, ich verstehe nicht, warum die Leute mit so etwas Probleme kriegen.

Aber da ist eine Frau in unserer Gruppe, der helfe ich ein bisschen, wenn sie nicht mehr kann. Die hat gerade ihre Tochter verloren. Wenn sie mich anruft, dann fahr ich eben hin und helfe ihr. Ich arbeite da gleichzeitig immer auch meine Frau noch ein bisschen mit auf, und das finde ich gar nicht so angenehm. Aber ich kann das der Frau nicht ablehnen, wenn die da weint am Telefon. Sie konnte übrigens am Anfang nicht verstehen, warum ich mir zweimal das Leben nehmen wollte. Jetzt, wo ihre eigene Tochter gestorben ist, begreift sie es. Und noch eins, das muss man sich mal vorstellen: Als die Tochter den Brustkrebs hatte, hat deren Ehemann sie verlassen. Das find ich einfach eklig. Der Partner, der Krebs hat, der hat ja so schon Angst! Und dann verlässt man den noch? Ich hab meine Frau auch betrogen. Aber ich hätte das nie gemacht bei der Geburt und bei der Erkrankung.

Wie kam es dazu, dass Sie Ihre Frau betrogen haben?

Das ist lange her, 25 Jahre. Ich wollte endlich mal ‘n Mann sein, was anderes erleben, ich wollte endlich auch mal ‘ne Affäre haben. Und die hatte ich dann.

Da kam es zu ‘ner heftigen Ehekrise. Wir haben nur noch über’s Wetter geredet und die Erziehung des Kindes. Das andere ging alles den Bach runter. Ich bin immer ausund eingezogen, weil ich mich nicht entscheiden konnte. Irgendwann macht man da alles kaputt. Ich hab zu meiner Frau gesagt, entscheide du über mich. Da hat der Psychologe gesagt, ich müsste das selber entscheiden, welche Frau ich denn nun haben will. Weil ich den immer fragte, sagen Sie mir doch, welche Frau ich nehmen soll. Da sagte der, ich bin doch nicht bescheuert, nachher kommen Sie und erschießen mich, wenn es die Falsche ist. Mein Frau hat auch gesagt, sie entscheidet das nicht. Damals hat meine Frau gesagt, entweder wir probieren es noch mal oder wir trennen uns. Eigentlich war sie diejenige, die mehr dran festgehalten hatte. Sie hat gesagt, sie liebt mich, sie will mich wieder haben. Wir haben dann die Eheberatung gemacht bei Pro Familia und haben uns wieder zusammengefunden.

Ich bin zu meiner Frau zurück, und das war richtig so, wir waren nachher beide zusammen wie ein Strich. Nach ein paar Jahren haben wir uns gesagt, die andere Frau hat unserer Ehe eigentlich gut getan, wir haben wieder richtig zusammengefunden. Dann haben wir über die Affäre nie mehr geredet. Auch wenn ich mal zu spät nach Hause kam.

Unsern Sohn hatten wir nach zehn Jahren bekommen. Ich bin kein Vater-Typ. Ich wäre auch ohne das Kind ausgekommen. Heute bin ich froh, dass er da ist, das muss ich zugeben. Sonst hätte ich gar niemanden mehr. Er ist jetzt 28 und hat zum Schluss auch geholfen, seiner Mutter die Spritzen zu geben. Der Arzt hat es ihm gezeigt, außerdem hatte er Zivildienst gemacht auf ‘m Krankenwagen. Wir haben ja bei meiner Frau Home-Care gemacht, als sie im Sterben lag. Sie lag ungefähr ein halbes Jahr zu Hause.

Das ist übrigens sehr nett, wenn sie einem im Krankenhaus sagen, nehmen Sie Ihre Frau mit, die braucht nicht mehr wieder zu kommen. Ich hab sie mit nach Hause genommen und es gab Leute, die sich darüber gewundert haben. Sollte ich sie etwa in ein Hospiz bringen? Viele Leute bringen ihre Partner irgendwo unter und kommen schon mit neuem Partner an. Das kann doch nicht wahr sein! Der Mensch ist doch kein Möbelstück! Man kann doch nicht Ex und Hopp machen! Das gibt’s anscheinend aber oft. Als wir beide das erste Mal zur Kur zusammen waren, sie war dort in der Klinik und ich konnte mich nebenan einquartieren, da hab ich feststellen müssen, wie viele Kranke von ihren Partnern verlassen wurden. Das finde ich ausgesprochen schoflig. Aber eigentlich wollten wir doch über Beziehungen im Alter reden?

Wann haben Sie denn begonnen, über eine neue Partnerin nachzudenken?

In der Trauergemeinde damals, da war eine, die wollte was von mir, aber da war ich überhaupt nicht aufnahmefähig und da hab ich gesagt, nein, auf keinen Fall. Man versucht da doch erst mal, was zu verarbeiten. Aber jetzt komme ich langsam wieder ins Leben zurück.

Woran haben Sie damals gemerkt, dass Sie noch nicht so weit sind für die Partnersuche?

Daran, dass ich noch zu sehr auf der Krankheit herumritt. Und wenn Sie ‘nen Partner damit belasten, dann kann der irgendwann nicht mehr. Und das klammere ich jetzt aus. Nur wenn jemand danach fragt, dann erzähle ich ein bisschen was, aber ich erzähle es nicht mehr aus freien Stücken. Weil ich davon ja auch weg will.

Haben Sie zu dieser Zeit mal wieder versucht, mit einer Frau zu schlafen?

Die Idee kam mal auf, ins Gewerbe zu gehen. Da sagte ich mir, das ist nichts für mich, ich kann so mit Frauen nicht umgehen, ich muss die mögen. Wenn ich ‘ne Frau nicht mag, dann kann ich nicht.

Waren Sie seit Ihrer Ehe nie wieder mit einer Frau sexuell zusammen?

Doch. Eigentlich ziemlich bald. Es gab da nach meiner Ehefrau eine Frau, mit der ich Sex hatte. Das ging so zwei bis drei Monate. Den letzten Anstoß für den Sex hat die Frau gegeben. Sie wohnte nebenan. Mein Sohn hatte früher mit ihrem Sohn gespielt und wir grüßten uns. Und deren Mann hat sie verlassen. Irgendwie sind wir uns dann immer näher gekommen. Aber das war so eigenartig. Sie hielt mir vor, wie toll ihr Exmann war. Er war wohl der einzige, der sie sexuell befriedigt hat. Nur er hat es geschafft, dass sie ‘nen Orgasmus hatte. Zu mir hat sie immer gesagt, du schaffst das nicht, du schaffst das nicht. Da war ich völlig aufgelöst. Und da kann man dann irgendwann nicht mehr. Meine Schwester sagt über sie, die ist ‘n AltHippie, und wenn Männer kommen, dann vergisst sie alles rechts und links. Viele Frauen erzählen, die Männer wollten mit ihnen nur schlafen. Und ich kam mir umgekehrt genau so vor.

Also, ich mag Sex sehr, aber ich mag auch, dass man zärtlich zueinander ist. Ich mag nicht, wenn es nur rauf und runter geht. Sie hat gesagt, was sie will, und trotzdem hab ich es nicht geschafft. Auf mich hat sie nie geachtet.

Schön an der Sache war, dass ich eben in diesen zwei, drei Monaten eine Frau hatte, die ich mal im Arm halten konnte, auch wenn es die Falsche war. Ich hatte mich bei ihr gut gefühlt, jung gefühlt. Sie hat mir auf ihre Art eben doch etwas gegeben, so dass ich heute wieder auf andere Frauen zugehen kann. Das ist das Positive aus dieser Affäre.

Ihre Anzeige lautete: »Vitaler unabhängiger Witwer, 62, 183, 75, sucht nette, natürliche, schlanke Sie bis 60 mit Lust auf Zweisamkeit und Unternehmungsgeist für breit gefächerte Aktivitäten. Trau Dich doch! Bild wäre nett!« War Sie erfolgreich?

Ja, da haben sich vierzig Frauen ›getraut‹. Darunter drei von Heiratsinstituten. Eins davon hat russische und polnische Frauen angeboten. Also, dafür bin ich ja nun überhaupt nicht zu haben. Das können ja ganz liebe Frauen sein, aber womöglich wollen sie nur geheiratet werden, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu kriegen, und heiraten will ich ja nun gar nicht mehr.

Welche Vorstellung haben Sie? Eine neue Frau in Ihrer Wohnung?

Nein, das könnte ich mir nicht vorstellen. Dass die ‘ne Zahnbürste mitbringt, dagegen habe ich nichts. Aber für immer und ewig? Nein.

Eine gemeinsame Wohnung wollen viele Ältere nicht mehr.

Nein? Andere wollen das auch nicht mehr?

Man sieht sich dann aber nicht sehr oft, zumal wenn die Frau noch berufstätig ist.

Das stört mich nicht. Ich bin dafür, dass jeder seins weiter machen kann, und nicht was aufgibt. Und vor allem nicht Freundschaften fallen lässt. Nach der Beerdigung haben sich übrigens einige nicht wieder sehen lassen. Einmal kam eine Frau mich besuchen, ihr Mann hat unten gewartet. Ich sag, warum ist er nicht mit rauf gekommen? Na, der kontrolliert das Öl seines Autos, hieß es. Ich sag, wie bitte? Ihr kommt das erste Mal vorbei nach vier Jahren, da stellt der sich unten hin und kontrolliert das Öl?

Welche Frauen passen zu Ihnen?

Ich mag aktive Frauen, so wie meine Frau es war. Ich mag nicht so ‘ne Huscherl. Ich muss mich mit jemandem auseinander setzen können. Das hatte ich eigentlich mit der Frau damals von nebenan. Wir konnten uns über alles unterhalten. Über Malerei zum Beispiel. Und besonders über Musik, ich geh gerne in Konzerte, ich fahre jeden Sommer nach Chorin zum Konzert. Also ich möchte nicht jemanden, der mich nur anhimmelt. Sondern eine Frau, die mir auch mal Contra bietet.

Sie sind kein Besserwisser?

Dazu weiß ich zu wenig. Irgendwer hat doch mal gesagt ›Ich weiß, dass ich nichts weiß‹. Je mehr man sich informiert, umso mehr wird einem das bewusst. Hab mir gerade ein paar Bücher gekauft über Geschichte, weil ich da weiß, dass ich nichts weiß. Darin zu lesen, macht mir Spaß. Und da suche ich jemanden, der sich mit mir darüber unterhalten kann. Und wenn ich in Ausstellungen gehe, dann lese ich vorher ein bisschen darüber. Früher hatte ich ja jemanden, der mir brühwarm alles erzählt hat: meine Frau. Die war zum Beispiel ein Fontane-Fan. Sie ist mit mir mit dem Buch in der Hand los gewandert, durch die Mark Brandenburg.

Kommen wir zurück auf Ihre vielen Zuschriften. Haben Sie sich schon mit Frauen getroffen?

Die eine, die ich getroffen hatte, die fand ich ganz nett. Wir wollten eigentlich am Sonnabend ins Konzert gehen, ins Jagdschloss Grunewald. Aber sie hat sich nicht mehr gemeldet. Ich fand sie wirklich nett.

Aber sie nehmen das nicht persönlich, dass diese Frau es sich anders überlegt hat!

Nein, nein! Dann war da noch so ne Blonde. Aber die hatte sich was anderes vorgestellt. Die sagte, ich sei nicht auf ihrem Level. Ich hab erst gedacht, sie meint, ich sei geistig nicht auf ihrem Niveau, aber wir haben uns geistig ja gar nicht ausgetauscht. Und als sie mit ihrer Bemerkung vom Segelboot kam, stieg ich dahinter, dass sie wohl das Geldliche meinte. Ich hab sie gefragt, warum sie auf meine Anzeige geantwortet hat. Hab ihr gesagt, ich bin ein kleiner Rentner, was erwarten Sie eigentlich von mir. Ich hab kein Segelboot und keinen Tennisschläger und keinen Golfplatz. Sie war durchaus attraktiv. So Mitte 50 bis 60.

Das richtige Alter?

Ja, ich such keine so sehr junge. Ich kann mich selber einschätzen. Ich weiß, was ich für Vorlieben und Nachteile habe. Ich suche keine mehr, die in Tanzlokalen rumtanzt.

Und gestern hab ich mich mit ‘ner Lehrerin getroffen. Wir haben beide eingesehen, dass wir nicht zusammen passen. War ein netter Nachmittag. Und das war’s dann. Es muss ‘ne gewisse Sympathie da sein.

Haben Sie eine Vorstellung, wie es mit Ihrer Partnersuche weitergehen wird?

Überhaupt keine. Ich hab mich ja mit einigen Frauen verabredet und ich muss sagen, irgendwo hängt mir das nun schon zum Hals raus. Ich hab keine Lust mehr. Dann denkt man auch, es ist so schön, zu Hause zu sitzen, ‘n schönes Buch zu lesen. Und nun soll ich raus und den ganzen Palaver noch mal loslassen. Und dann weiß man nicht, was kommt und was die von einem will, und was die denkt. Ich möchte es eigentlich aufgeben.

Ich unterhalte mich darüber mit meiner Schwester. Die hat so eine eigenartige Ehe, hat nebenher einen Liebhaber, ich weiß gar nicht, wie sie das macht. Sie hat Haarausfall und ist psychisch nicht ganz stabil, da richte ich sie jetzt immer ‘n bisschen auf. Sie hält mir immer vor Augen: Du hast doch in einer Frau alles gehabt! Und das 36 Jahre lang. Du kannst doch zufrieden sein. Ich sag, das bin ich auch, – ich wollt’s nur noch länger haben!

Sie haben vermutlich noch viele Jahre vor sich.

Ja, ich weiß nur im Moment nicht, ob ich noch weiter suchen werde. Ich hab mal in einem Altersheim gearbeitet, da war auch Liebe mit 80 noch. Und Eifersüchteleien. Und ich hatte gedacht, mit 60 ist das alles vorbei, und man müsste doch irgendwann die Sexualität mal einstellen, das ist doch widerlich. Ich hatte damit nämlich große Schwierigkeiten gekriegt. Als meine Frau im Sterben lag. Ich hatte im Nebenzimmer geschlafen, weil ich es nicht mehr ertragen konnte, wie meine Frau sich quälen musste. Der Krebs ging ja auch auf die Luftröhre und sie röchelte, und dann war da noch ‘ne Maschine an, wo das Bett durchgepumpt wurde. Und wie ich da im Nebenzimmer liege, erwacht auf einmal meine Sexualität. Und das hab ich nicht begriffen. Ich hab mir das so zum Vorwurf gemacht, dass ich mich da befriedigt habe, wo doch meine Frau nebenan im Sterben lag.

Und da sagte der Psychologe, Ihr Körper wollte leben! Aber erzähl das mal deinem Inneren! Erzähl das mal deiner Seele! Ich hab das probiert, drei Jahre lang. Ich hab den Psychologen immer wieder gefragt: Sagen Sie, ich hab doch damit meine Frau betrogen. Da sagt der, das dürfen Sie nicht so sehen. Sie haben doch Ihrer Frau nichts weggenommen. Sie haben so ‘nen Scheiß gehabt während der Krankheit! Und dann haben Sie eben auch mal ‘nen schönen Moment gehabt! Vom Verstand her hab ich das ja auch begriffen, und heute hat sich das beruhigt.

Meine Frau war die erste Frau in meinem Leben. Wir haben sexuell zusammen gefunden. Und die Sexualität hat eigentlich unsere Ehe gehalten. Das wussten wir. Und wir haben noch bis zur zweiten Krebserkrankung, als das Rezidiv kam, zweimal in der Woche miteinander geschlafen.

Denken Sie an Ihre Frau, wenn Sie sexuelles Verlangen haben?

Nein, eigentlich nicht. Allerdings eine Sache gibt es. Ich hab früher mal ‘nen kleinen Film gemacht, wo sie gebadet hat. Wenn ich also jetzt mal große Lust habe, sehe ich mir diesen Film an. Das ist ein ganz harmloser, bisschen mit Brust frei. Dann ist sie bei mir, aber sonst nicht. Ich versuche eigentlich, meine Frau rauszuhalten. Und ich versuche auch nicht, eine andere mit ihr zu vergleichen.

Wie sieht es aus mit Ihrer Lebensplanung?

Angst habe ich vor ’m Alter. Das muss ich sagen. Vor ’m hohen Alter. Ich bin allein in Berlin. Also ich hab Angst, dass ich pflegebedürftig werde. Ich hab mal meiner Frau gesagt, was ich eigentlich nicht hätte sagen dürfen: Weißt du, ich begleite dich, aber wer wird mich begleiten? Da hat sie gesagt, du kannst doch noch leben! Ich hatte sie sogar gefragt, ob wir zusammen gehen wollen. Da hat sie gesagt, hast du ‘ne Meise? Das kommt nicht in Frage. Genieß das Leben noch!

Sie wollte leben und starb, und ich wollte gehen und muss bleiben.

Und jetzt will ich wieder anfangen zu genießen. Ich hol mir jetzt eine, die ein bisschen mit mir das Leben genießt. Ich will ja nichts Großes mehr, vielleicht eine Halbes oder ein Viertel. Das wär’ ganz nett.

Und wie geht’s jetzt weiter?

Am Montag hab ich noch ‘ne Verabredung. Am Mittwoch dann noch mal. Und jetzt hab ich noch eine Zuschrift aus Cottbus bekommen. Wer weiß, was dabei rauskommt.

Werner, 79

»Was, du gehst noch mit einer ins Bett?«

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Das Schlimmste ist, im Alter keine Aufgabe mehr zu haben. Lieber die Latte etwas höher hängen und es versuchen, als sich gar keine Ziele mehr zu setzen.

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Udo Jürgens

Werners Kontaktanzeige:

»Hätten Sie, eine aufgeschlossene, charmante, gepflegte, verständnisvolle, unabhängige, schlanke Autofahrerin, Lust, mit einem zudem einfühlsamen, geistig und körperlich beweglichen, kultivierten, sympathischen 70er eine entwicklungsfähige, nicht einengende, harmonische Partnerschaft aufzubauen, um gemeinsam aktiv zu werden, miteinander zu reden, zu lachen und nicht nur geistige Streicheleinheiten auszutauschen, dann sollten wir uns kennen lernen.«

Welche Reaktionen kamen auf Ihre Anzeige?

Es sind zwölf Briefe eingegangen, und das Bemerkenswerte daran ist, dass es Damen sind von Ende 50 bis Mitte 60. Keine einzige 70jährige, dabei gibt es doch unter ihnen jede Menge Witwen! Ich habe in meinem Bekanntenkreis Beispiele dafür, dass diese verwitweten Frauen in der Familie aufgehen. Die wollen sich gar nicht mehr mit einem Knösel beschäftigen. Die sind Omas oder Uromas und werden voll von der Familie gebraucht – und verbraucht, und sind wohl deswegen nicht mehr auf dem Markt.

Viele scheuen sich auch, weil sie sich als 70-jährige Frau keine Chancen mehr ausrechnen, aber einige von ihnen inserieren durchaus!

Aber wenige. Die meisten Inserenten, das ist ja erstaunlich, die sind so zwischen 30 und 45, von denen man eigentlich denkt, die müssten doch Kontakte haben noch und nöcher.

Sie haben ja außerdem formuliert, sie seien ein »70er«. Somit melden sich vorwiegend Frauen um Mitte 60 bei Ihnen. Hätten Sie nicht angeben sollen, dass sie Ende 70 sind?

Na ja, ich sehe das großzügig, noch bin ich ja ein 70er.

Sie hätten gern eine jüngere Partnerin?

Nein. Das Alter spielt nicht so sehr eine Rolle. Wobei der Mann natürlich immer ein Hochgefühl hat, wenn er sich sagen kann, Mensch, eine junge Frau interessiert sich noch für mich! Also, meine letzte Partnerin war 75. Der sah man das gar nicht an. Manche dagegen sind ja in dem Alter schon alte Muttis. Wenn ich so ’nen Bus sehe von irgend einer Kaffeefahrt! Also, um Gottes willen, was da so raus krabbelt. Ich mache bei so was nicht mit, aber ich sehe das doch manchmal, wenn sie hier starten, wenn sie so ’n Ausflug machen. Und dann sind da zwei Männer dabei und 40 Frauen, so etwa. Das haben wir ja mal zusammen erlebt. Mit meiner Partnerin. Und da sagten wir, guck mal, bloß alte Leute! Dabei waren die nicht mal so alt wie wir beide. Wir haben uns köstlich amüsiert.

Was vermissen Sie? Warum möchten Sie eine Frau haben?

Um mich austauschen zu können. Wenn ich etwas unternehme, habe ich keinen, mit dem ich darüber sprechen kann, ich hab nur meine eigene Meinung. Und das ist gefährlich mit der Zeit. Ich brauch jemanden, mit dem ich mich gut streiten, auseinander setzen kann, der selber eigene Gedanken hat, und der mir auch mal in die Parade fährt und sagt, da bist du, glaub ich, auf dem Holzweg, ich sehe das ganz anders! Dazu taugt aber auch nicht jede Frau. Manche blocken gleich ab und sagen, ach du mit deinen vorgefassten Meinungen.

Und was ist die Folge davon? Man unterhält sich nur noch über das Wetter oder über’s Essen oder so was. Ich kann zwar auch, sagen wir mal, zu zweit ganz ruhig miteinander sein. Einer liest ein Buch, der andere macht was anderes, legt ‘ne Patience oder was anderes. Das ist auch wichtig. Aber dann brauche ich auch wieder die Anregung.

Gut wäre eine Frau, die sich sozusagen emanzipiert hat?

Nein. Weder Blaustrumpf, noch burschikos. Eigentlich träumt ja der Mann immer von einer Frau, bei der er der Mann sein kann, nicht? Also bisher habe ich mich auch immer nach kleineren Frauen orientiert, obwohl die ja, – die haben Haare auf den Zähnen, die sind ja manchmal viel gewitzter! Meine letzte, die war auch klein, die war 1,58. Und sie hatte übrigens immer große Männer. Und die etwas größeren Frauen sind immer sauer, sie sagen zu den kleinen, ihr nehmt uns die Männer weg.

Also, die Frau sollte mehr so ein Kumpeltyp sein. Mit dem man Reisen machen kann, der auch gerne längere Spaziergänge macht, und eben auch mal damit zufrieden ist, wenn man in der Nähe kein gutes Restaurant findet, dass man eben mal in eine Kneipe geht. Das ist also sehr schwierig zu finden diese Mischung, eine Frau, die auch mal für’s Grobe ‘n Faible hat. Die nicht nur irgendwo herumschwebt.

Und Sie inspiriert?

Es wäre schon ganz schön, wenn sie zumindest mit dem Abi auf die Menschheit losgelassen wäre. Also, es muss nicht immer ‘ne Akademikerin sein. Es kommt ja auf das Zwischenmenschliche an. Dass man aufrichtig ist!

Wie gehen Sie mit den zwölf Zuschriften um?

Das ist schwierig. Es melden sich jetzt also zwölf Frauen, von denen ich drei in die engere Wahl stelle. Jetzt kann ich aber nicht zwei von denen in den Tief kühlschrank legen und nach einem Vierteljahr wieder auftauen. Die sind weg! Nicht? Das ist das Risiko dabei. Deshalb hab ich das nun mal ausprobiert, habe gefragt, ob ich nach einiger Zeit noch mal anrufen darf und fand durchaus Zustimmung: Ja, rufen Sie mich ruhig noch mal an! Aber wie gesagt, das ist die Krux dabei. Es kann doch sein, ich entscheide mich jetzt für die Falsche. Das merke ich doch erst beim zweiten, dritten oder vierten Treffen, dass das nicht richtig läuft.

Sie sagten, wichtig ist, dass man aufrichtig ist.

Ich sage immer den Damen: fragen Sie mich, was Sie wissen wollen! Ich will ihnen ja nicht was erzählen, was sie überhaupt nicht interessiert. Oder sie kriegen was in den falschen Hals, was ich erzähle, das klingt vielleicht in dem Moment schlimm, aber in Wirklichkeit ist es gar nicht so schlimm. Da sollten sie lieber noch mal fragen.

Und das Sexuelle?

Das Körperliche spielt natürlich eine Rolle. So ganz jenseits von Gut und Böse bin ich jedenfalls noch nicht. Deshalb hab ich ja in meiner Anzeige zumindest von den ›Streicheleinheiten‹ gesprochen. Also, ich brauche das, bin ja empfindsam für Streicheleinheiten. Und ich gebe sie auch gerne. Man sagt von mir, ich sei eine etwas sensible Natur, was einem manchmal auch Schwierigkeiten macht.

Es gibt allerdings Frauen, die schon nach den Wechseljahren völlig aufgegeben haben. Sie haben dann Schmerzen und – ach Gott! Aber das zu eruieren, das ist sehr, sehr schwierig. Man kann das natürlich so ein bisschen testen. Ich gehe also ganz gerne mit den Damen ›schaufenstern‹. Da kommen wir an einem Wäschegeschäft vorbei, und ich kann feststellen, wie sie reagieren, wenn ich sage, das ist doch eine hübsche Damenwäsche.

Wie reagiert Ihr Umfeld auf Ihre Partnersuche?

Dass vielfach auch die Kinder den Alten das vermiesen, ist natürlich schlimm: »Was, du gehst noch mit einer ins Bett? – Das kannst du doch nicht mehr machen! – Das macht man doch nicht mehr!« Da ist viel die Familie dran schuld. Das hab ich auch zu spüren gekriegt. Da steht ja auch oft ein finanzielles Interesse dahinter. Nicht, dass die neue Partnerin ihn gleich arm macht, aber er verleitet sie immerhin zum Ausgehen, große Reisen zu machen und so. Das sollte er mal lieber sein lassen, damit das Erbe nicht verkleinert wird.

Haben Sie es schon öfter per Annonce versucht?

Das erste Mal aus der Kriegsgefangenschaft. Ich war lange in Ägypten. Da haben wir immer gesagt, man müsse, wenn man nach Hause entlassen wird, irgendwo den Hut an den Nagel hängen können. Und mit dieser Absicht habe ich meine erste Bekanntschaft nach dem Kriege über eine Anzeige gemacht. Wir hatten ja schon etwas Postverbindung nach Deutschland. Und da hat einer meiner Zeltgenossen, – wir wohnten alle in Zelten –, der hat ein Dutzend Feuersteine statt Geld in einen Brief geklebt und an den, – ich glaube es war damals der Telegraph – geschrieben, dass er ‘ne Frau sucht. Und dann kriegte er bergeweise Zuschriften, es waren ja keine Männer mehr da in Deutschland. Die Frauen haben sich gesagt, die Soldaten in der englischen Kriegsgefangenschaft sind ja sicher noch ziemlich in Ordnung, und die sollten wir uns mal sichern. Der Zeltgenosse verkaufte also seine viele Zuschriften an uns, zehn Zuschriften gegen Zigaretten, und da hab ich mir welche gekauft. Und dann hab ich angefangen zu schreiben. Von den Antworten hab ich eine nach der andern weggeworfen. Nur eine blieb übrig. Und mit dieser Frau habe ich heute noch Kontakt. Wir haben uns dann geschrieben, und als ich im März 1948 nach Hause kam, da war es, als wenn sich alte Bekannte treffen.

Und? Haben Sie geheiratet?

Nein, diese Frau war damals nicht meine Preisklasse. Ich besaß nichts, ich bin ja Heimatvertriebener, war hier in Berlin mit dem einzigen Anzug, den ich hatte, angekommen. Und sie stammte aus einem sogenannten gutbürgerlichen Hause, der Vater war höherer Beamter. Da hab ich einfach nicht den Mut gehabt, etwas zu unternehmen. Wir mochten uns, haben auch nette Tage verlebt, aber nachher hat sie einen Karrieremann geheiratet und ist nach Amerika gegangen.

Haben Sie später geheiratet?

Nein, ich bin ja einer von den ganz wenigen, die nie verheiratet waren. Ich hab allerdings ‘ne Tochter. Die hat übrigens sehr darunter gelitten, dass wir nicht geheiratet haben. Wenn wir geheiratet hätten, hätte es Mord und Totschlag gegeben. Außerdem war ich ein gebranntes Kind, die Ehe meiner Eltern war nicht gut, die Ehe meiner Schwester war nicht gut, da sagt man sich, musst du dir das antun?